Da ist er wieder. Der Tag der deutschen Einheit. Doch kommt es mir so vor, als wären wir alles andere als eine Einheit. Ich lenke dieser Tage meine Gedanken nicht nur auf den Mauerfall, die Öffnung der Grenzen und die damit verbundenen Geschichten meiner Familie und einer ehemals geteilten Nation. Ich stelle mich der Frage, ob wir als Gesellschaft zum heutigen Tage und in der aktuellen Situation noch eine Einheit sind.
Gut, mit der Einheit ist das so eine Sache. Etwas Pluralität muss eine demokratische Gesellschaft schon aushalten, etwa die Koexistenz verschiedener Interessen und Lebensstile. Aber ich spüre eine enorme „Uneinigkeit“ zwischen uns, die einen immer größer werdenden Graben entstehen lässt. Auf der einen Seite steht ein Gemenge aus Zweiflern und Verschwörungstheoretikern, die ihren Standpunkt wie eine Festung verteidigen. Auf der anderen Seite lassen sich Menschen von Hysterie und Angst in den Wahnsinn, ja sogar in eine Art Depression treiben. Das einzige, was die beiden Seiten gemeinsam haben, ist die Hartnäckigkeit, die sie von ihrem Standpunkt, ihrer Meinung nicht abweichen lässt. Es mag durchaus noch eine gemäßigte Mitte geben, die dem Schwarzweiß-Denken nicht verfallen ist. Doch ist von dieser kaum etwas zu hören. Sie schreitet ruhig und leise durch die aktuelle Krise und beobachtet die beiden Seiten meist Kopf schüttelnd von außen. Doch wäre es nicht ein wunderbarer Schachzug der gemäßigten Mitte, eine Brücke über den Graben zu schlagen, um beide Seiten zu verbinden? Wäre es nicht eine Möglichkeit, um unser Land in der Krise gemeinsam besser zu gestalten? Kann trotz dieser Uneinigkeit wieder eine stärkere Einheit entstehen? Zumindest eine Einheit im Austausch über die unterschiedlichen Sichtweisen… Wäre es dafür nicht schön, wenn die vielen Graudenker aus der Mitte auf Schwarz- und Weißdenker zugehen würden, um einen Dialog zu entfachen, der unser Denken und Handeln wieder dynamischer gestalten würde? Denn eines ist klar: Wenn ich Einseitigkeit und Sturheit lebe, höre ich auf, mich zu „bewegen“. Und Stillstand ist der Tod einer jeden pluralistischen Gesellschaft, die wir gemeinsam gestalten sollten. In der Krise mehr denn je. Daher habe ich mir heute, am Tag der deutschen Einheit, vorgenommen, in den freundlichen, offenen Dialog mit meinen Mitmenschen zu gehen. Damit wir wieder eine Einigkeit finden werden, ohne das Recht des Anderen auf Meinung zu untergraben, um ihn das wunderbare Gefühl von Freiheit nicht zu nehmen.